Allein auf dem Weg in bessere Zukunft

Maria im Tann unterstützt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

48_Flüchtlinge (c) Maria im Tann
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Datum:
Mi. 26. Nov. 2014
Mohammad und Omar (Namen von der Redaktion geändert) sitzen zusammen vor der Spielekonsole. Danach verziehen sie sich in ihre Zimmer: Hausaufgaben. Ein Nachmittag von zwei ganz normalen Jugendlichen, möchte man meinen – wenn da nicht die Vergangenheit des 15- und 16-Jährigen wäre.

Mohammad und Omar gehören zu der Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Aachen, die nahezu täglich größer wird. Sie kommen aus vielen Ländern der Welt – überall dort wo Krieg, Hunger, Armut, Gewalt und Diskriminierung herrschen. Die Kinder und Jugendlichen – meistens Jungen, manche erst zwölf Jahre alt – machen sich allein auf den gefährlichen Weg in eine bessere Zukunft.


Für wachsende Zahl der Flüchtlinge hat die Stadt zu wenig Kapazitäten

Das Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe „Maria im Tann“ hält mittlerweile 25 von 89 Plätzen für jugendliche Flüchtlinge vor. Im Haus 1 sollen sie sich zwei Monate eingewöhnen, Deutsch lernen und Gruppenregeln verinnerlichen. Arztbesuche, Termine beim Ausländeramt und im Café Zuflucht zur Aufarbeitung der Fluchtgeschichte, Suche eines Schulplatzes stehen an. Danach sollte das Jugendamt eine so genannte Anschlussmaßnahme anbieten: Ein Platz in einer Regelgruppe oder eine Trainingswohnung. Eigentlich, denn die Realität macht den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung. „Die Anschlussmaßnahmen fehlen, weil die Zahl der Flüchtlinge einfach so hoch ist. Schon genug der Jugendlichen müssen in Hotels leben. So bleiben im Haus 1 alle so lange, bis ein adäquater Platz frei wird“, erklärt Ingrid Dömges-Janssen, Erziehungsleiterin in „Maria im Tann“.


So ist Omar seit sechs Monaten in Haus 1. Er hat bereits sehr gut Deutsch gelernt, besucht die 10. Klasse einer Aachener Hauptschule. Hoch motiviert sitzt er über seine Deutsch-Aufgaben gebeugt. „Den Alltag können die Flüchtlinge schnell bewältigen. Das haben sie während der Flucht über Monate, manche über Jahre ganz allein getan. Es sind starke Persönlichkeiten, sonst hätten sie es gar nicht bis hierher geschafft“, weiß Dömges-Janssen.

Die Arbeit mit den jungen Leuten erfordert viel Fingerspitzengefühl

Alle acht Jungen aus Haus 1 haben einen Schulplatz – das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Am Nachmittag pauken sie noch bei einem Nachhilfelehrer zusätzlich Deutsch. Sie gehen in den Fußball- oder Boxverein. Sie lernen schwimmen und Fahrradfahren. „Die Flüchtlinge sind hochmotiviert, wollen hier rasch viel lernen. Fehlt dazu die Möglichkeit, bricht diese Motivation aber schnell“, weist Dömges-Janssen auf die dringende Notwendigkeit von Tagesstruktur und Lernmöglichkeiten hin.  Aber selbst wenn alle Rahmenbedingungen optimal sind, brauchen die Betreuer von jugendlichen Flüchtlingen ein besonders gutes Fingerspitzengefühl: „In ruhigen Momenten öffnen sich die Jungen, erzählen von Angst um ihre Familien, trauern auf ihre Art. Das geht oft erstaunlich schnell“, findet Inken Nebel, Betreuerin im Haus 1.

Nach kurzer Zeit können sich unterdrückte Gefühle lösen

Ob mit der neu erworbenen Fremdsprache Deutsch dann schon alle Feinheiten ausgedrückt werden können, ist nebensächlich. „Das geht mit Händen, Füßen und Bildern. Erstaunlicherweise können wir sehr schnell heraushören, worum es eigentlich geht. Auch wenn die Worte fehlen“, sagt Nebel. Das lange entbehrte Gefühl von Sicherheit, aber auch von neuen Lebenschancen saugen die Flüchtlinge offenbar dankbar auf.


Dennoch fordert das Konzept von „Maria im Tann“ bei jeder Neuaufnahme die Unterschrift des neuen Bewohners unter einen Vertrag, der klar macht, was in „Maria im Tann“ nicht geht: Gewalt, Rassismus, Beleidigungen. Umstände, die Kinder und Jugendliche auf der Flucht am eigenen Leib erfahren haben.
„Das machen wir hier bei allen von Anfang an klar – bei Flüchtlingen auch mit Hilfe von Dolmetschern“, erklärt Dömges-Janssen. Der Alltag tue dann sein Übriges zu einem friedlichen Zusammenleben, wie Nebel ergänzt: „Hier lernen die Neuankömmlinge sehr schnell von den anderen, was eine friedliche Atmosphäre bedeutet und welchen Wert sie hat.“ Sie spiegelt sich förmlich in den Gesichtern der Jugendlichen wider: „Oft sind ihre Züge versteinert, wenn sie ankommen, zu erwachsen“, beschreibt Nebel. „Ganz bald kommen hier ihre jugendlichen Züge wieder. Sie lächeln, lachen, weinen auch. Sie freuen sich, die Tür öffnen und andere begrüßen zu können. Die Anspannung löst sich.“

Im Sommer waren die Jungs die glühendsten Fußballfans

Und so entstehen Situationen und Veränderungen, die selbst erfahrene Sozial-Pädagogen wie Nebel nicht kalt lassen:  „Wir haben hier gemeinsam das Finale der Fußballweltmeisterschaft geguckt. Ich hätte mit keinem noch so intensiven Fußballabend mit Freunden in der Kneipe tauschen wollen. Glühendere, glücklichere Fans habe ich noch nicht erlebt.“

 

Paten und Familien für jugendliche Flüchtlinge gesucht

Um jugendlichen Flüchtlingen ohne Schul- und oder Heimplatz eine sinnvolle Beschäftigung anzubieten, entwickeln das Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe „Maria im Tann“, die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Aachen-Brand sowie „Prodialog“ derzeit ein Tagesstruktur-Angebot. „Maria im Tann“ sucht außerdem Familien, die bereit sind, jugendliche Flüchtlinge aufzunehmen. Pädagogische Vorerfahrung oder ein gleicher kultureller Hintergrund sind Bedingung. Freiwillige können sich melden unter Tel. 0241/ 705050 und info@mariaimtann.de. Die Aktion „Aachener Hände“ des Katholischen Vereins für Soziale Dienste in Aachen (SKM) betreut junge Flüchtlinge, die nach Erreichen der Volljährigkeit aus dem Netz der Jugendhilfe herausfallen. Die begonnene Integration der jungen Menschen durch regelmäßigen Schulbesuch, soziale Teilhabe usw. droht dann zu scheitern. Patenschaften sollen das verhindern.  Wer Pate werden möchte, kann sich beim SKM Aachen melden unter Tel. 0241/41355531 oder auch per E-Mail an die Adresse aachener.haende@skm-aachen.de.