Das Zwischenfazit zum Betreuungsrecht fällt nach 25 Jahren positiv aus – aber die Barrieren bleiben hoch
Die Würde eines Menschen ist unantastbar. Das gilt unabhängig von seiner körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung. Sein Wohl und sein Wille sind es, was zählt.
Das gilt auch bei Personen, die so stark eingeschränkt sind, dass sie wichtige Dinge ihres Lebens nicht eigenständig regeln können. Ihnen wird häufig ein gesetzlicher Betreuer zur Seite gestellt. Den Rahmen dafür gestaltet das Betreuungsrecht, das vor 25 Jahren die gerichtlich verfügte Entmündigung von Personen ablöste. Auch ein Vierteljahrhundert nach seiner Einführung ist das Bild der gesetzlichen Betreuung in der Bevölkerung mit vielen Vorurteilen und Ängsten behaftet, die aus der Zeit der Entmündigung stammen. Auch reißerische Geschichten über die schwarzen Schafe der Branche tun etwas dazu. Der Alltag sieht anders, besser aus, wie jüngst bei einer Fachtagung der acht Betreuungsvereine in der Städteregion Aachen deutlich wurde.
Nur hört man von dieser Erfolgsgeschichte wenig. Dabei gibt es so viel zu erzählen. Die Aachenerin Gertrud Els tut es stellvertretend. Ihr ältester Sohn kam mit einer chronischen Erkrankung aus dem Wehrdienst heraus. Drei Jahrzehnte ist das her, aber dieses Ereignis prägt ihr Leben seitdem. Eine schwere Bürde, die sie ohne eine gesetzliche Betreuerin an ihrer Seite überhaupt nicht schultern könnte. Diese ist Mitarbeiterin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) in Aachen und übernimmt alles Formelle, was mit der Krankheit des Sohnes zu tun hat. Das beginnt bei der Krankenbehandlung, geht über sein Leben im Wohnheim bis hin zum Kindergeld und zur Kostenübernahme durch den Landschaftsverband Rheinland. Von den vielen Formularen, die da hin- und hergehen, von all den Rechtsbegriffen, die niemand versteht, von manchen Konflikten, die ausgehandelt werden, bekommt Gertrud Els gar nichts mit. Die gesetzliche Betreuerin schottet sie von diesen Vorgängen ab. So kann sich die 77-Jährige ganz darauf konzentrieren, Mutter für ihren Sohn zu sein. Und sie schätzt die geräuschlose, vertraute, persönliche Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterin des SKF.
Solche guten Geschichten von gelingenden Betreuungen hört Petra Collas gerne. Sie ist Rechtspflegerin am Amtsgericht Aachen und ist seit 31 Jahren mit Begeisterung dabei. Sie achtet darauf, dass alles mit rechten Dingen zugeht, wenn jemand gesetzlich betreut wird. Eingeschaltet wird das Gericht vor allem bei weitreichenden Angelegenheiten, etwa, wenn im Zuge der Betreuung ein Haus veräußert werden soll. Die Gesetzesreform vor 25 Jahren hält sie unter dem Strich für einen großen Fortschritt. Ganz persönlich schätzt Petra Collas, dass sie seitdem in ihrer Arbeit viel mehr Kontakt mit den Betreuten und ihren Angehörigen hat. Diese Begegnungen und Gespräche sind ihr, die sie im Schnitt 1500 Vorgänge im Blick zu halten hat, sehr wertvoll.
Sie unterschreibt, was Andreas Wittrahm vom Diözesanen Caritasverband mit Blick auf die Reform betont: Die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt, ihr gilt von Rechts wegen das Streben aller Beteiligten. Wittrahm wertet daher das Betreuungsrecht als wesentlichen Baustein zur Vollendung der Demokratie in Deutschland. Es gebe denen eine Stimme, die aufgrund ihrer Einschränkungen Mühe haben, ihre eigene Stimme zu erheben. Die zentrale Rolle der Selbstbestimmung helfe, die Würde des Betreuten zu wahren. Politisch bleiben bei allem positiven Zwischenfazit Ziele offen. Ein wichtiger Punkt ist die finanzielle Ausstattung der Aufgabe, wie beispielhaft für die Betreuungsvereine Torsten Nyhsen vom Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM) in Aachen unterstreicht. Ehrenamtliche Betreuer, insbesondere Angehörige, sind oft von der Komplexität der Materie überfordert – erst recht, wenn sie nicht durch einen Betreuungsverein vorbereitet, fortgebildet und begleitet werden. In solchen Situationen empfiehlt sich für das Amtsgericht die Bestellung eines hauptberuflichen Betreuers, sei es ein Vereinsbetreuer oder ein Berufsbetreuer, mit einem leistungsfähigen Büro im Rücken.
Wenn dem aber so ist, dann müssen die entsprechenden Pauschalen, Töpfe, Entgelte aufgestockt werden, sagen Witt- rahm und Nyhsen unisono. So, wie die finanzielle Ausstattung zurzeit gestaltet ist, müssen gerade die Berufsbetreuer drei, vier, fünf Dutzend Menschen betreuen, um von ihrer Arbeit leben zu können. Es gibt durchaus Fachleute, die perfekt organisiert sind und das irgendwie hinbekommen. Das sind auch gar nicht so wenige. Was aber zuweilen trotz aller Professionalität und Verlässlichkeit leidet, ist der direkte Kontakt zum Betreuten, seinen Angehörigen oder Einrichtungen. Denn Zeit kostet Geld. Wenn kaum Geld da ist, ist auch die Zeit knapp. Hier ist eine Stellschraube für die Politik, nachzubessern. Betreuungsvereine helfen Ehrenamtliche sind für Amtsgerichte die erste Wahl, das ist vom Gesetz so vorgeschrieben. Das sind meist Angehörige. Viel seltener engagieren sich Menschen, die keine persönliche Beziehung zu der alten, kranken, behinderten Person haben, die gesetzlich betreut werden soll.
Die Betreuungsvereine bemühen sich, Frauen und Männer mit Lebens- und Berufserfahrung für diese anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe zu gewinnen. Das ist alles andere als einfach. Wer den Mut und den Idealismus aufbringt, sich um die Rechtsgeschäfte eines anderen zu kümmern und dafür Sorge zu tragen, dass der Betreute seinem Willen gemäß lebt und versorgt wird, findet in den Betreuungsvereinen wie SKM und SKF sowie Arbeiterwohlfahrt und Diakonie Partner, die helfen. Es gibt ein Rundum-sorglos-Paket, von der Erstberatung und Vermittlung über Begleitung, Erfahrungsaustausch und Supervision bis hin zu Versicherungsschutz und Vertretung bei Krankheit und Urlaub. Alleine: Es ist so wie beim Thema gesetzliche Betreuung insgesamt – die Barrieren scheinen nach wie vor hoch, das Paket anzunehmen.